- Satanismus: Gegenreligion mit Eigendynamik
- Satanismus: Gegenreligion mit EigendynamikUnter den Begriff des Satanismus fallen verschiedene Bewegungen, die vor allem seit dem vergangenen Jahrhundert entstanden sind, aber auch ältere Sekten, in denen der Teufel eine nicht nur negative Rolle spielt. Zum Teil handelt es sich dabei um ernst gemeinte spirituelle Aktivitäten und sekten- oder ordensartig strukturierte Organisationen, zum Teil um eine Modeerscheinung, die vor allem von Jugendlichen zur Abgrenzung von etablierten Religionen und politischen Gruppen und zur Selbstwertsteigerung benutzt wird. In diesem Falle spielen besondere Kleidung und besondere Musik (z. B. Black Metal und Death Metal) eine wichtige Rolle. Sowohl der »seriöse« als auch der Modesatanismus führen in manchen Fällen zu kriminellen Handlungen bis hin zu Folter und Mord.Wer ist Satan?Satan oder der Teufel ist in verschiedenen Religionen der Gegenspieler Gottes. In den dualistischen Religionen (z. B. Zoroastrier, Manichäer) steht er äußerlich dem guten Gott gleichberechtigt gegenüber; allerdings siegt am Ende das gute Prinzip über das Böse.In der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition, die einen mehr oder weniger reinen Monotheismus vertritt, erscheint das personifizierte Böse in verschiedenster Gestalt; recht geläufig ist die Auffassung, es handele sich um Luzifer, den Fürsten der Engel, der sich von Gott abgewandt habe und damit »gefallen« sei. Zudem wurden im Laufe der Christianisierung viele Götter der alten Religionen ins Böse gewendet und zu Dämonen oder Teufeln umgedeutet (schon in vorchristlicher Zeit wurde aus Baal der Dämon Beelzebub). Gemeinsam ist den großen Religionen die Auffassung, der Teufel führe die Menschen mit äußerlich attraktiven Angeboten (Reichtum, Lust, Macht) in Versuchung, um damit ihre Seele ins Unheil zu stürzen.Vom Umgang mit Satan — schwarze und weiße MagieNormalerweise trachtet der gottgläubige Mensch danach, sich Dämonen und Teufel vom Leibe zu halten. Zu allen Zeiten jedoch gab es Menschen, die sich die Macht der Dämonen für ihre Zwecke zunutze machen wollten. Die Rituale und Mittel, deren diese Menschen sich bedienen, werden unter dem Begriff »schwarze Magie« zusammengefasst, im Gegensatz zur »weißen Magie«, die, ebenfalls mit nicht liturgischen Ritualen, versucht, das Böse zu bekämpfen. Vor allem vom Mittelalter bis zur Renaissance befassten sich in der alchimistischen Tradition selbst Fürsten und kirchliche Würdenträger ernsthaft mit beiden Arten von Magie, und die Teufelsaustreibung — Exorzismus — war Bestandteil normaler priesterlicher Aktivitäten. Vereinzelt wird sie sogar noch in unserem Jahrhundert von geweihten katholischen Priestern ausgeübt. Im 17. Jahrhundert gab es in Frankreich einen spektakulären Prozess gegen 14 Nonnen eines Klosters, die behaupteten, vom Teufel besessen zu sein. Viele Rituale, die heute zur »schwarzen Messe« gehören, haben sich vermutlich damals gefestigt.Die schwarze Messe»Schwarze Messe« ist die Bezeichnung für ein Ritual, das angeblich oder tatsächlich von Anhängern des Satanismus gefeiert wird. Es handelt sich dabei um eine häufig bis ins Detail genaue Nachahmung einer christlichen Messe, bei der allerdings sämtliche Vorzeichen sorgfältig umgekehrt werden, z. B. wird statt Wein Blut getrunken, Gott durch den Teufel ersetzt. Die Existenz schwarzer Messen wird von Satanisten häufig bestritten und als literarischer Unsinn abgetan. Tatsächlich ist das Bild, das man sich von solchen Messen macht, vor allem von literarischen und filmischen Beispielen geprägt. Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass es Rituale gibt, die zumeist auf Friedhöfen oder anderen »dunklen Orten«, z. B. im Wald, durchgeführt werden und bei denen Personen zu Schaden kommen, sei es durch rituelle Schmerzproben oder durch »Opfern« oder Quälen von Unbeteiligten bzw. Gegnern.Entstehung des Satanismus um die JahrhundertwendeDer Beginn der satanistischen Bewegung ist eng mit den Namen Aleister Crowley (1875—1947) und Anton La Vey (* 1930) verbunden. Crowley, der noch heute vor allem durch sein Tarotkartenset bekannt ist, hatte 1904 eine Offenbarung, in der ihm ein Geist mit Namen »Aiwaz« unter anderem das grundlegende Gebot »Tue was du willst, dies sei das ganze Gesetz« offenbarte. 1907 gründete er den Orden »Astrum Argentum«, und 1912 trat er in den Ordo Templi Orientis (OTO) ein, dessen Leiter er später wurde.Crowleys Lehre ist eine Zusammensetzung aus christlichen, indischen, ägyptischen und anderen Elementen; Sexualrituale und Drogenkonsum spielen eine bedeutende Rolle. Seine Texte sind in einer kraftvollen »biblischen« Sprache gehalten und mit exotischen Namen und zahlenmystischen Anspielungen durchsetzt. Anton La Vey gründete den »Magic Circle«, den er in der Walpurgisnacht des Jahres 1966 in »Church of Satan« (CS) umbenannte. La Vey machte vor allem durch spektakuläre Aktionen wie das Verspeisen von Menschenfleisch auf sich aufmerksam. Nachdem er intern wegen unlauterer Geschäfte ins Gerede gekommen war, spaltete sich 1975 der »Temple of Set« (TS) von der CS ab. Der TS verbindet die Lehren Aleister Crowleys mit denen der CS. Er ist weniger zentralistisch organisiert als die CS, und öffentliche Rituale und Zurschaustellungen sind im TS verpönt.Die Gebote SatansDie Satansbibel enthält neun »öffentliche« Gebote und elf, die wegen ihrer Offenheit nur an Mitglieder ausgegeben werden. Die neun Gebote beziehen sich sämtlich auf die christlichen Verhaltensregeln und stellen sie infrage (»Hingabe statt Enthaltsamkeit«, »Güte nur gegenüber denen, die sie sich verdienen«, »Verantwortung nur gegenüber Verantwortungsbewussten«, »Sünde führt zu Genugtuung« etc.). Das letzte Gebot ist selbstironisch: »Satan ist der beste Freund, den die Kirche jemals hatte, da er sie über all die Jahre im Geschäft gehalten hat.«Die elf eigentlichen Verhaltensregeln sind eine Mischung aus eigenbrötlerischen antisozialen Ratschlägen (sich gegenseitig in Ruhe lassen, sich anderen gegenüber verschließen, »beschwere dich nicht über etwas, dem du dich nicht selbst aussetzen musst«), ethischen Anweisungen (»Füge Kindern keinen Schaden zu«) und Aufrufen zur Gewalt (»Wenn dich ein Gast in deinem Heim belästigt, behandele ihn grausam und ohne Gnade«, »Wenn dich jemand belästigt, bitte ihn, damit aufzuhören. Wenn er nicht aufhört, vernichte ihn.«)Satanismus und Gesellschaft — JugendsatanismusDie Anhänger des »eigentlichen« Satanismus, das heißt die Mitglieder von OTO, CS und TS, sind vermutlich zahlenmäßig nicht sehr bedeutend, man geht von einigen Tausend weltweit aus; dazu kommen vielleicht noch einige Zehntausend stille Anhänger. Angaben, nach denen es in den USA 50 000 satanistisch inspirierte Morde gegeben habe, sind schon insofern unhaltbar, als im angegebenen Zeitraum insgesamt nur 23 000 Morde verübt wurden.Das Thema wird also teilweise als gesellschaftliches Problem dramatisch hochgespielt. Trotzdem ist nicht zu leugnen, dass Satanismus zu den verschiedenartigsten Verbrechen führen kann. Häufig kommen die Täter aus den Reihen der Jugendsatanisten, die sich durch schwarze Kleidung, weiß geschminkte Gesichter und brutale Rockmusik vom Rest der Gesellschaft unterscheiden wollen. Sie treffen sich auf Friedhöfen und anderen abgelegenen Orten, konsumieren Drogen, führen Rituale durch (z. B. Schmerzproben) und bekämpfen ihre vermeintlichen Gegner (die »Normalen«).Ebenso wie das Glaubensbekenntnis der Satanisten werden satanistische Texte in der Musik durch ein »backward masking« verschlüsselt, d. h., sie werden rückwärts aufgenommen. Ein Beispiel für die Gefährlichkeit solcher Modeerscheinungen sind die Ereignisse von Sondershausen im Jahre 1993. 1992 war dort in der Schülerzeitung eines Gymnasiums ein Interview mit einem Satanisten aus der elften Klasse veröffentlicht worden, das Eltern und Lehrer entsetzte. Im folgenden Jahr ermordeten jugendliche Satanisten aus diesem Kreis einen Mitschüler.Massimo Introvigne und Eckhard Türk: Satanismus. Freiburg im Breisgau1995.Luise Mandau: Satanismus. Düsseldorf 1997.Thomas Schweer: Stichwort Satanismus. München 1997.Hans Otto Wiebus: Lexikon Jugendkulte. Taschenbuchausgabe München 1997.Lexikon der Parawissenschaften, herausgegeben von Irmgard Oepen u. a. Münster 1999.Ingolf Christiansen: Satanismus. Faszination des Bösen. Gütersloh 2000.Guido Grant und Michael Grant: Satanismus. Die unterschätzte Gefahr. Düsseldorf 2000.
Universal-Lexikon. 2012.